Dr. Christoph Baumgärtner – Home oder nicht Home TeleTalk
- Typ: Glosse
- Dr. Christoph Baumgärtner
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Wie leistungsbereit sind Menschen im Homeoffice? Entspricht das Homeoffice der Lebensrealität von Menschen? Oder haben wir alle verlernt, richtig zu arbeiten? Nach der anfänglichen Homeoffice Euphorie macht sich gerade bei Unternehmen nun Ernüchterung breit. Tatsächlich befinden wir uns jedoch mitten in einer Entwicklungsphase neuer Zusammenarbeit – sollten aber Lösungen suchen, die nicht in der Vergangenheit liegen.
Herbst 2023 gegenüber dem Fortune-Magazin: „Ich denke, einer der schlimmsten Fehler der Tech-Industrie seit Langem war, dass jeder für immer aus der Ferne arbeiten könnte.“ Altman meint, das Experiment sei vorbei und vor allem sei die Technologie noch nicht gut genug, dass die Leute für immer aus der Ferne arbeiten können – insbesondere bei Start-ups. Es habe, vor allem bei Start-ups, einen Verlust an Kreativität im Homeoffice gegeben. Am „effektivsten“ würden Start-ups arbeiten, „wenn alle Mitarbeiter im Büro sind.“
„OHNE OPERATIVE EXZELLENZ IST ALLES NICHTS.“
Dr. Christoph Baumgärtner ist einer der fünf geschäftsführenden Gesellschafter der ja-dialog. Studium an der TU München, Promotion an der University of Cambridge. Ab 2000 die ersten Berufsjahre in München, London und Tokyo bei der Unternehmensberatung Bain & Company, wo Fred Reichheld zur gleichen Zeit das Net Promoter System (NPS) erfand. Seit 2008 ist er in der Contact-CenterIndustrie tätig: zuerst als Geschäftsführer der Perry & Knorr-Gruppe (heute Webhelp) und seit 2015 bei ja-dialog, dort auch verantwortlich für die Geschäftsentwicklung. Seine Leidenschaft ist die kontinuierliche Verbesserung von Kundenserviceprozessen. Sein Credo: „Ohne operative Exzellenz ist alles nichts.“
„Teams haben sich noch nie getroffen“
Die Verzweiflung bei Unternehmen muss recht hoch sein, wenn sich führende Köpfe zu solchen Abwertungen hinreißen lassen. Tatsächlich gibt es auch komplett gegenteilige Stimmen. Investor und Unternehmer Carsten Maschmeyer sieht im Homeoffice nicht nur eine „Lösung gesellschaftlicher Probleme wie Wohnungsnot und Fachkräftemangel“, sondern vor allem eine zukunftsweisende Form der Zusammenarbeit. In einem Interview mit T3n sagte Maschmeyer: „Ich habe in Start-ups investiert, in denen sich das Team noch nie getroffen hat. Die haben kein Büro. Die Gründerinnen und Gründer wissen aber ganz genau, wie sie ihre Teams remote führen können.“
Beide Seiten überziehen mit solchen Extrempositionen. Das Homeoffice löst bestimmt nicht alle Probleme, ist aber auch nicht der Ursprung von diesen. Wir haben doch jetzt erst die Erkenntnisse und die Erfahrungen, zu diskutieren, aus Fehlern zu lernen, die Entwicklung weiter voranzutreiben und kluge Lösungen zu finden, von denen sowohl Arbeitnehmer als auch Unternehmen profitieren. Denn ganz klar: Remote-Arbeit wird nicht mehr weggehen. Die Mitarbeiter haben sich an die Freiheiten gewöhnt, die das Remote-Arbeiten bietet – und tun sich schwer damit, diese Freiheiten aufzugeben. Nicht zuletzt besteht darin eine Chance für mehr Flexibilität und für eine gerechte Gestaltung der Arbeitswelt. Doch dann müssen wir uns auch ehrlich machen.
Ich selbst habe die Erfahrung in einem Start-up gemacht: Parallel zu meiner Funktion bei ja-dialog beteiligte ich mich in der Corona-Phase mit IT-Spezialisten an einem SaaS Start-up. Das Produkt war eine Cloud-basierte Virtual-Desktop-Infrastruktur-Lösung, die auch von der Telekom als Solution-Package angeboten wurde. DasTeam sah sich ein einziges Mal zu Beginn, danach videokonferierte und arbeitete man vom Homeoffice in Madrid, Barcelona, Bonn, London und Berlin. Die ständige Zusammenarbeit auf Entfernung belastete das junge Unternehmen. Es fehlte der direkte Austausch, es fehlten die gemeinsamen Kreativitäts Prozesse, wir trafen uns ja nie. Das Ergebnis: viele ungeklärte Themen (nicht die Technik, sondern die Rollen und Klärung der Motivation), fehlende Verpflichtung und Bindung. Und dann der finale Sargnagel: Der Entwickler und Erfinder der Lösung stieg aus.
Wollen die Menschen heute nichts mehr leisten? Haben alle während Corona im Homeoffice das Arbeiten verlernt? Ganz sicher nicht. Vielleicht ist Arbeit heute nicht mehr der komplette Lebensinhalt, vielleicht sehen viele Erwerbsarbeit und Sorgearbeit (für Familie und Angehörige) heute gleichwertig, da mögen sich Prioritäten verschoben haben. Aber dass das Homeoffice „ein Symptom für die mangelnde Leistungsbereitschaft“ sei – wie es unlängst der ehemalige McKinsey-Chef Herbert Henzler formulierte – ist eine Anmaßung, zeigt jedoch, wie schrill die Debatte inzwischen geführt wird.
Wie realitätsfremd müssen die Leute sein, die von zu Hause aus arbeiten?“, tönte beispielsweise Tesla-Gründer Elon Musk, und setzte noch einen drauf: „Warum habe ich so viele Male in der Fabrik geschlafen? Weil es wichtig war“, und der schwäbische T-Shirt-Provokateur Wolfgang Grupp ergänzte: „Wenn einer zu Hause arbeiten kann, ist er unwichtig.“ Auch Sam Altman, CEO von ChatGPT-Anbieter OpenAI, kritisierte bereits im Seitdem habe ich viele ähnliche Remote-Start-up Storys gehört. Meine Erfahrung ist die Regel und nicht die Ausnahme. „Homeoffice pur“ als New Work-Konzept ist eine Sackgasse – sowohl für Unternehmen als auch für Mitarbeiter. Um diese an das Unternehmen zu binden, müssen Führungskräfte sich der Frage stellen: Wie können wir dafür sorgen, dass unsere Leute so gut wie möglich arbeiten können? Denn wem das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter nicht gleichgültig ist, der wird Motivation und Leistungsbereitschaft fördern. Gerade deshalb müssen wir praktikable Lösungen, neue hybride Arbeitsmodelle entwickeln – und künftig auf schrille Meinungsbeiträge verzichten.
Rückholaktionen der Tech-Giganten
Im Grunde hat die Diskussion um das Homeoffice schon recht früh begonnen. Google schickte beispielsweise zu Beginn der COVID-Pandemie alle Mitarbeiter ins Homeoffice. Doch nach der anfänglichen Euphorie („Wir waren weniger abgelenkt!“, „Wir waren alle produktiver!“, „Es war toll!“) startete der Tech-Gigant Mitte 2022 eine Art Rückholaktion. Mit dem freiwilligen RTO-Programm (return to office) wollte man die Kollegen wieder ins Büro locken. Doch es kam kaum einer, viele waren sogar umgezogen, hatten lediglich virtuell Kontakt zur Firma gehalten. Um diesen Trend zu stoppen, führte Google schließlich zur Jahresmitte 2023 das verpflichtende 3-2-Modell ein. Das bedeutet, mindestens drei Tage pro Woche im Office, höchstens zwei Tage im Homeoffice. Auch Apple hat im Mai 2023 das 3-2-Modell eingeführt und selbst Meta, deren CEO Mark Zuckerberg selbst dauerhaft im Homeoffice bleiben will, setzt seit Anfang 2024 auf ein 50/50-Modell, Hälfte Büro, Hälfte Homeoffice. Das heißt: Die vermeintlich romantische Phase der Zusammenarbeit ist endgültig vorbei.
Aber warum organisieren Unternehmen aufwändige Rückholaktionen? Warum sollen Mitarbeiter wieder ins Büro gelockt werden? Nun, das hat viele Gründe. Ein entscheidender Grund: Der fehlende direkte Austausch zwischen Menschen. Denn die Produktivität und auch Effektivität leiden, wenn der persönliche Kontakt wegfällt, beispielsweise bei der Software-Entwicklung. „Reine Homeoffice-Teams im IT-Development-Umfeld funktionieren nicht“, sagt Wolfgang Faisst, einst bei SAP, heute CEO von ValueWorks. Entwickler müssten sich regelmäßig treffen, um gute Ergebnisse zu erzielen. Zudem verkompliziert das Homeoffice-Setting viele Vorgänge auch in anderen Branchen. Sich mal eben kurz wegen einer Kleinigkeit an der Kaffeemaschine auszutauschen, geht nicht. Stattdessen muss man einen 30-Minuten-Slot mit einem Kollegen buchen, für etwas, das normalerweise ein zweiminütiges Gespräch gewesen wäre. Und wer neu in eine Firma kommt, fühlt sich im Homeoffice ohnehin schnell isoliert, wenn da keiner ist, den man „mal kurz fragen“ kann. Selbst wenn Firmen sämtliche verfügbaren Online-Tools anbieten, all das kann den persönlichen Kontakt mit den Menschen nicht ersetzen. Unternehmen sind mehr als nur Organisationen, die den reinen Unternehmenszweck verfolgen, sondern Organismen, deren Funktionieren auch vom sozialen Gefüge abhängt.
Neue Leute sind schnell wieder weg
Fakt ist: Gibt es keinen direkten Austausch, sinken auch die Bindung und Loyalität der Mitarbeiter. Ein Dax-Vorstand klagte unlängst, dass Homeoffice-Leute rasch „für ein paar Euros mehr“ wechselten. Die Verweildauer im Unternehmen sei bei reinem Homeoffice dramatisch geringer. Thomas Heiermann, MD des Medion-Kundenservice, berichtet davon, dass Mitarbeiter, die das Onboarding während der Pandemie rein remote durchlaufen hätten, „fast alle wieder das Unternehmen verlassen haben.“ Und wenn viele Mitarbeiter weniger als zwei Jahre im Team verblieben, wird ein Erfahrungsaufbau im Unternehmen nur schwer möglich. Wissen geht nicht nur verloren, Wissen wird erst gar nicht aufgebaut. Und – auch das ist Teil der Wahrheit: Viele Mitarbeiter fühlten sich offenbar isoliert, zumal Führungskräfte sie wortwörtlich aus dem Blick verloren. Und wer nicht gesehen wird, ist eben eher bereit, das Unternehmen zu verlassen. Auch deshalb ist es wichtig, dass Menschen wieder aufeinandertreffen.
Fehlende Überzeugung in der Kundeninteraktion
„Reine Homeoffice-Business-Modelle können durch den Stand der Technik den rein formalen Prozessen und Ansprüchen von Recruiting bis Onboarding genügen“, sagt Pascal Dué, Head of Advisor & Customer Service bei Vorwerk. „In der Kundenservice-Operations führt dies allerdings zu deutlichen Effekten, wie mangelnder Qualität und Lösungskompetenz, fehlender Bindung zum Auftraggeber und dadurch fehlender Überzeugung in der Kundeninteraktion.“ Eine weitere Folge sei das signifikant geringere Engagement, was sich durch übermäßig hohe ungeplante Abwesenheiten bemerkbar mache, so Dué.
Kluge Hybrid-Konzepte sind die Lösung
Für uns war es wichtig, die Fehler aus der Pandemiezeit künftig zu vermeiden und für Mitarbeiter hybride Arbeitsmodelle anzubieten, um die Zusammenarbeit und die Produktivität bestmöglich zu organisieren. Heute hat ja-dialog klare und transparente Grundsätze für die Standorte in Deutschland:
• Mitarbeiter starten bei ja-dialog grundsätzlich nur im Office. Die Erstschulung und die gesamte Einarbeitungsphase finden persönlich statt. So lernen Mitarbeiter die Firma kennen. Es entsteht eine Bindung zu ja-dialog und zu Kollegen. Wichtige informelle Kontakte werden über das eigene Team hinaus geknüpft. Das bedingt natürlich, dass wir Mitarbeiter nur im Umkreis der Standorte rekrutieren.
• Erst nach Ende dieser Einarbeitung, die gewöhnlich eher Monate als Wochen dauert, und sobald die Mitarbeiter einen ausreichenden Leistungsstand erreicht haben, stellt ja-dialog ihnen frei, für bis zu 90 Prozent der Arbeitszeit ins Homeoffice zu wechseln. 10 Prozent Office-Anwesenheit bleiben verpflichtend.
• Teams sollten sich so abstimmen, dass Office-Tage möglichst gemeinsam stattfinden. Außerdem gibt es regelmäßig TeamTage, um den Austausch außerhalb deseigenenTeams zu fördern. Dazu werden Rahmenprogramme veranstaltet, sodass Mitarbeiter für sich selbst einen Sinn darin sehen „reinzukommen“, beispielsweise Gesundheitstage, Fotoshooting oder Ähnliches. In der Praxis verbringen viele Mitarbeiter mehr Zeit im Office als sie müssten: 35 Prozent der Stunden werden von den Standorten aus gearbeitet. Diese Eckpunkte haben sich bewährt, zumal die Zukunft der Büroarbeit ganz klar hybrid sein wird.
Von der hybriden Zukunft geht auch Maribel Pietzner, ja-dialog-Geschäftsführerin und Leiterin des Standorts Wolfen, aus: „Zur Vorbereitung unserer Führungskräfte auf das hybride Führen entwickelten wir gemeinsam mit ihnen einTraining dazu. Führungskräfte werden bei uns wieder und wieder dafür sensibilisiert, dass im digitalen Raum besonderer Wert darauf gelegt werden muss, Team-Mitgliedern Ansprache und Wahrnehmung zu zeigen. Die persönliche Begrüßung des Mitarbeiters zu Arbeitsbeginn bekommt dadurch einen ganz anderen Stellenwert.“
Fakt ist: Man wird den Menschen, vor allem den jüngeren Bewerbern (Gen Z), nicht mehr die Freiheit nehmen können, Zeit und Ort des Arbeitens – zumindest temporär – selbst zu wählen. Die Herausforderung liegt darin, das hybride Arbeiten so zu gestalten, dass es sowohl den persönlichen Austausch befördert als auch den Wünschen nach Homeoffice entgegenkommt. Denn: Organisationen benötigen das persönliche Treffen, um zu funktionieren. Der rein funktional notwendige Kontakt unter Mitarbeitern ist aber an sich zu wenig, um ein Unternehmen erfolgreich zu machen.